kchr
Nichts ist so laut wie die Stille, wenn das erste mal jemand einen frisch geschriebenen Text von dir liest und du daneben sitzt und wartest. Auf das Urteil. Auf eine Reaktion. Auf ein Geräusch.
Es fühlt sich an, wie damals in der Schule. Während mein Freund aber anständig und ruhig liest, unterbrach der unsympathische Lehrer die Stille gelegentlich mit einem Schnauben. Einem Kopfschütteln. Und dem provokanten, aggressiven Kratzen des Rotstifts auf meinem Text. Meinem Werk. Meiner Kunst. Kchchchr. Falsch. Umso länger das Kchchchr andauerte, desto mehr war falsch. Diese Unterbrechung der Stille war nicht nur ohrenbetäubend. Sie war auch irgendwie pietätlos. Abartig.
Mein Freund ist anständig und ruhig. Er nickt nicht mal mit dem Kopf. Oder schüttelt ihn wenigstens. Seine Augen sind nicht verbissen, in ihnen lauert nicht der Wunsch, einen Fehler zu entdecken und den Rotstift laut FALSCH rufen zu lassen. Er verzieht keine Mine, atmet er überhaupt? Ich werde verrückt. Die Stille ist so laut.
Wo ist er denn nun, der Rotstift, der die Stille unterbricht, wenigstens ganz kurz? Ein ganz kurzes Kchchchr - ein Kchr? Oder ein Schnauben? Ein leises? Damit ich weiß, was ich zu erwarten habe? Und wie lange liest er eigentlich schon. Ist bereits ein Tag rum? Oder ein Jahr? Wie soll man denn das Zeitgefühl behalten ohne ein Schnauben oder Kchchchr.
Er blickt auf, mir in die Augen und die Endlosigkeit der Stille ist vorbei, der Text gelesen.
Ende.
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