brot
Erinnerungen. Eine spannende Sache. Unsere ganz persönliche Fähigkeit zum Zeitreisen.
Es ist einer der seltenen Tage, an denen unser Abendessen aus Brotzeit besteht. Wir sind berufstätig, also wird zu meist am Abend gekocht. Doch heute, wir hatten beide frei, gab es mittags bereits ein wärmendes Festmahl bei der Familie. Auf der Rückfahrt kamen wir an einem neuen Bäcker vorbei. Es ist einer dieser neumodischen Läden, die damit werben, Brottradition (was darunter zu verstehen ist erscheint mir zunächst höchst subjektiv) zu leben, Lifestyle Faktor und instagramability inklusive. Weg vom schneller, billiger, trockener und zurück zur Handwerkskunst. Wir haben bereits von diesem Bäcker gehört und der Frankfurter Handkäs in der Einkaufstasche schreit nach frischem Brot. Also wagten wir das Experiment.
Eben noch saß ich unverfänglich und unbedarft am Tisch, fertig gedeckt mit allem, was zum Abendbrot gehört, und saugte den Duft des frischen Brots, begutachtete die fluffige Konsistenz, die knusprige Knuste. Der erste Bissen war der Start meiner Reise.
Ich schaue an mir herunter, auf meine Hände, die eine Brotscheibe halten, für die sie viel zu klein wirken. Darunter sehe ich meine nackten Füße baumeln, sie erreichen kaum den Boden. Ich spüre den Stuhl, auf dem ich sitze, erkenne die durchgedrückten Polster. Meine Haut ist weich und riecht nach Badeschaum und Frotteehandtuch, der kuschlige Baumwollschlafanzug umarmt mich regelrecht. Mein Kopf glüht noch ein wenig vom heißen Bad, die Haare sind nicht ganz trocken und fliegen wild umher. Ich fühle mich sorglos, grinse wie ein Honigkuchenpferd. Dabei präsentiere ich frech die Zahnlücke zwischen meinen Schneidezähnen (Noch ist mir nicht bewusst, dass es ein Ideal gibt, dem sie nicht entsprechen und das eines Tages dazu führen wird, dass ich lange Zeit nicht richtig lachen werde). Mit mir am Tisch sitzen die Menschen, die mein Universum sind. Alles dreht sich um sie, um uns. Ich schaue sie mir an, einen nach dem anderen. Sie sind meine Heimat, sie geben mir Liebe und Geborgenheit, wie könnte das jemals anders sein? Es geht mir gut. Mein Herz ist groß. Es sehnt sich nach Abenteuern, doch in diesem Moment ist es das Schönste, hier zu sein. Und egal, was am Tage passiert, zum Abendessen kommen wir zusammen. Dann sind alle da, die Erwachsenen reden über ihren Tag, ab und an fragt jemand nach der Schule oder dem Kindergarten. Wir schmieren Brote, erzählen Geschichten, lachen uns kaputt, halten uns die Bäuche. Wir sind aufgedreht, vermutlich setzt bei irgendwem gleich das Delirium ein. Keiner will ins Bett. Es duftet nach frischem Schwarzbrot und es wird vermutlich immer so sein. Es ist schließlich Tradition.
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