zitronenquarkrolle

Die Morgenstunden am Wochenende sind lang - ganz besonders an den Sonntagen. Die Eltern schlafen noch und wir haben sie in Ruhe zu lassen. Stattdessen treffen wir uns also heimlich still, mit nackten Füßen und Schlafanzügen, in aller Frühe zum Spielen. Kichernd, in dem besonderen Wissen, dass der Tag nur uns gehört - zumindest für den Moment. Wir tauchen ein in andere Welten und die Morgensonne taucht unser Reich in dieses diesig, helle Licht, das den Geruch von Morgentau mitbringt. Es ist, als würde alle Welt noch schlafen - bis auf uns. Sonntagmorgens vertragen wir uns. Denn da ist alles friedlich - auch wir - und wir könne noch in Ruhe träumen. 

Irgendwann hören wir sie dann aber doch, die ersten Schritte der Eltern, die knarzende Schlafzimmertür, das fließende Wasser in der Dusche. Die Tür geht auf, nur für einen Spalt, und Papa steckt den Kopf durch. Wer mit ihm zum Bäcker gehen wolle, fragt er. Ich, natürlich! Eilig springe ich auf und lasse die Welt, die ich eben noch erkundet habe, einfach an Ort und Stelle am Boden liegen und zurück. Damit ich später einfach genau da weiter machen kann. 

Kurz darauf laufen wir durch die Siedlung, in der außer uns noch ganz viele andere Kinder leben - ich finde das fantastisch! Doch gerade schlafen die meisten von ihnen noch, nur ein paar Gesichtern begegnen wir, die schon beim Bäcker waren. Die Morgenluft ist kühl, sie riecht frisch und lässt sich leicht atmen. Sie fühlt sich an, wie eiskaltes Wasser im Gesicht am Morgen. Erfrischend. Und ein bisschen kitzlig prickelnd. Mit Papa an der Hand hüpfe ich die Spielstraßen entlang, die unsere Siedlung durchziehen. Was für ein toller Tag für Abenteuer!
Ich gehe gerne mit zum Bäcker. Dort riecht es so lecker! Und ich darf mit aussuchen, was es gibt. Wie immer kauft Papa viele gute Brötchen und für sich noch eins mit Mohn, das mag außer ihm keiner. Und an manchen Sonntagen gibt es Zitronenquarkrollen - ob ich da heute Lust drauf habe? Ja bitte! Also Zitronenquarkrolle für das Sonntagsfrühstück. Und dann kommt das absolut Beste: die kleinen, viereckigen Croissants, goldbraun glänzend von außen und mit zwei saftigen Schokoladenstreifen im fluffigen Inneren. Die passen gerade so in die Hand, also müssen wir unbedingt ein paar mehr mitnehmen! Und eins davon bekomme ich direkt, für den Heimweg, damit er mir nicht so unerträglich lang vorkommt. Ich liebe es, wie der flattrige Blätterteig im Mund zerbröselt, wenn sich meine Zunge zu den süßen Schokoladenstreifen vorarbeitet. Himmlisch!

Selbstverständlich sind  alle Beweise meines ganz persönlichen Leckerbissens vernichtet, als wir wieder zuhause ankommen. Der Tisch ist schon gedeckt und es duftet im ganzen Haus. Der starke Geruch von Kaffee wärmt das Gesicht beim Eintreten. Den dürfen wir natürlich noch nicht trinken, für uns gibt es angenehm kühlen Kakao, den wir selbst anrühren dürfen. Und frisch gepresster Orangensaft darf nicht fehlen!
Der Frühstückstisch ist der schönste - vollbepackt mit leckeren Dingen und guter Laune. Mamas Tee, wundervoll golden, steht auf dem kleinen Glasstövchen, dass schon seit immer bei uns wohnt und mit dessen Teelicht wir nicht spielen dürfen. Im Brotkorb sind inzwischen die knusprig gebackenen, noch leicht warmen Brötchen und Schokocroissants mit zwei Schokoladenstreifen. Die Zitronenquarkrolle steht bereit für den Anschnitt. Und auch dazwischen findet sich allerlei wunderbares, von Oma's Marmeladen, über Nutella bis zum cremig gelben Honig, bei dem wir zusehen durften, wie er gemacht wurde. Für die Eltern gibt es noch eine Platte mit vielen verschiedenen Käsesorten, die alle unterschiedlich riechen, und Wurstscheiben, die wir heimlich schon mal naschen. Und für jeden ein Frühstücksei, abgedeckt mit bunten, warmen Strickfiguren und in Mamas schönen, dunkelblauen Enteneierbechern. Ich mag nur das Eigelb, trotzdem bekomme ich immer ein ganzes Ei und irgendwer anders muss dann den Rest für mich wegessen. Papa hat klassische Musik angemacht. "Mozart" sagt er, packt seine Gesangsstimme aus und singt fröhlich mit. Die Terrassentür steht offen und der Vormittag trägt Vogelgezwitscher und Blätterrauschen herein und den Geruch von Sonne, als wir uns alle am Tisch versammeln. 
Heute wird ein guter Tag für Abenteuer.



 Anmerkung: Dies ist das unverfälschte, rohe Ergebnis einer Schreibübung aus dem Buch Leben, Schreiben, Atmen von Doris Dörrie

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