atem

Wir laufen nun schon eine ganze Weile. Über beinahe ebene Wege und ein wenig Asphalt ging es ganz hoch hinauf. Schnaufend und gehetzt konnte ich mithalten, aber wieso haben wir es so eilig? Der Ausblick war fantastisch, als zwischen den hohen Kiefern und Eichen schließlich Felder, Weinreben und in der Ferne die schwammigen Umrisse von Bergen hervor blitzten. Die goldene Herbstsonne tat ihr übriges. Zwischen Erdung und Ehrfurcht konnte ich zum ersten mal an diesem Tag durchatmen und wahrnehmen.

Nun bahnen wir uns den Weg am Hang entlang, über schmale, goldene, laubgesäumte Pfade, untermauert von den Wurzeln der ruhigen Giganten ringsherum. Samten anmutende Sterne in saftigem Grün decken sie zu, kleine Pilzhüte sind ihre stetigen Begleiter. Der Blick nach oben ist schwindelerregend, die Wipfel schwanken im Wind und reichen bis in die Wolken, zwischen denen sich vereinzelte Sonnenstrahlen den Weg zum Grund bahnen um dem Wald ihre Magie einzuhauchen. Die Luft ist klar, kühl und feucht, jeder Schritt ein Augenblick zwischen Abenteuer und Friede. 
Was ich sehe, nehmt ihr gar nicht wahr, ins alltägliche Gespräch vertieft - das ist in Ordnung. Doch nun ist es Zeit für mich.

Ich bleibe stehen, versichere mich, dass ihr unbekümmert weiter lauft. Dann schließe ich die Augen und komme an, halte inne. Ich rieche den kühlen Boden und das feuchte Laub unter mir, die noch übrigen saftigen Blätter über mir. Die Luft schmeckt nach kürzer werdenden Tagen und nebligen Dämmerungen, nach Wald und Ruhe. Ich spüre die Unebenheiten, Steine und Äste, unter meinen Sohlen, und die nasse Kälte, die versucht, mir unter die Haut zu kriechen. Ich höre zwitschernde Vögel, einen Specht. Und dahinter das leise Wehen des Windes, das Schwanken der Bäume, das Knacksen und Knarzen der Welt. 
Das Ticken verlangsamt sich allmählich, der Wald atmet noch eimal tief ein, dann hält er die Luft an und für einen Augenblick steht die Zeit und ich bin im Jetzt. Regungslos nehme ich den Zauber wahr. Und als der Wald wieder ausatmet, spüre ich das Leben durch mich Strömen, die Energie. Der Wind wird stärker und schüttelt die Äste, nutzt das Rascheln der Blätter für seinen Gesang. Er umspielt mich und hebt meine Seele in die Lüfte. Er bahnt sich seinen Weg durch das Laub und auf einmal ist es laut, der Wald spricht und ich erwidere das Hallo in meiner Sprache.
Dann ist der Moment auch schon vorbei.

Ich sauge noch einmal alles tief auf, ehe ich die Augen öffne. 

Lächelnd und friedlich bin ich bereit, euch einzuholen. Ihr seid nicht weit, immer noch in eurem Gespräch. Es ist, als wäre keine Zeit vergangen.

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